Donnerstag, 23. Juni 2011

Es geht gar nicht um zu hohe Mieten, sondern um die Henne

Christiane Scholz

Gentrifizierung ist in aller Munde, die Angst vor der Verdrängung aufgrund zu hoher Mieten aus attraktiveren Wohngebieten und aus der Innenstadt wächst, seit Jahren kämpfen Bewohner, Aktivisten und Vereine gegen den schleichenden Prozess, der im Ergebnis eher einem sozialen Kahlschlag gleicht (z.B. Bötzowviertel im Prenzlauer Berg: nur 18% der ursprünglichen Bevölkerung leben nach der Sanierung noch dort).

Umso überraschender das Ergebnis einer Studie von Gabriel Ahlfeldt, Forscher an der London School of Economics and Political Science und Geschäftsführer von URBANCONTEXT. Im Friedrichshain finden Aufwertungsprozesse durch das Stadterneuerungsprojekt „Mediaspree“ statt. Dadurch drohen Mieterhöhungen. Doch Ahlfeldt stellt fest, dass diese für Bewohner gar nicht so sehr das Problem sind. Vielmehr stößt eine mögliche Verdrängung lokaler Kultureinrichtungen, welche einen materiell nur schwer fassbaren Kiezcharakter formen, auf Kritik. Obwohl laut der Studie gerade junge Erwachsene eher gegen das Projekt sind, die ja oft geringere Einkommen erzielen als ältere, stört sie die Bedrohung der Kultur mehr denn die des Geldbeutels. Hier ist der Gentrifizierungsprozess offensichtlich schon so weit fortgeschritten, dass bereits die sogenannten Gentrifier zugezogen sind (oder die Pioniere zu solchen wurden): Bewohner, die die höheren Mieten zahlen können. Und auch bereit sind, dies zu tun – solange sie dafür die „Alternativkultur“ bekommen, deretwegen sie dort hingezogen sind.

In bestimmten Gebieten im Prenzlauer Berg findet eine ganz ähnliche Entwicklung statt: Nur wird dort genau dieser Kiezcharakter nicht von Investoren und Stadterneuerungsprojekten „verdorben“, sondern von den Bewohnern selbst. Bars und Clubs werden auf Lärmbelästigung verklagt und viele mussten sich diesem Druck schon beugen – und sind in andere, offenere Gebiete umgezogen. Es geht eben nicht, „dass alles so bleibt wie es ist, nur sehr viel leiser’“.

So wird in beiden Fällen die Henne, die die goldenen Eier legt(e), geschlachtet – mal von der Wirtschaft und mal von den Bewohnern selbst.

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